Nach dem großen Erfolg unseres Stückes „Sea you“ mit vier gut besuchten Vorstellungen im Juni gingen wir in die Sommerpause, um nach den Ferien noch einmal im Detail nachzuproben und den Feinschliff vorzunehmen. Dies hatte sich schon bei vergangenen Projekten bewährt, konnte sich das Stück so nach etwas setzen und nachreifen und letzten Endes dann erst zu voller Blüte gebracht werden. Ende September war es im ganzen Vereinsgebäude nicht mehr zu übersehen: der Circus machte sich mal wieder breit:) Requisisten und Kostüme hielten wieder Einzug und Dominik Steinhagen, unser Hauptsponsor von der Firma Iventcon, zauberte uns ein wundervolles Bühnenlicht und bestmögliche Tontechnik in die Chris-Köhne-Halle.
Nach zwei ausverkauften und umjubelten Vorstellungen am 1. und 2. Oktober und noch raschen personellen Umbesetzungen wegen Krankheitsausfällen ging es dann am 7. Oktober los auf die große Reise. Bereits zum dritten Mal fuhr uns der weltbeste Busfahrer Ingo von Förster von Nordic Aktiv Reisen, , den daher auch die Unmengen an Sachen, die verladen werden mussten ( vom Drumset über Rollmatten, Seiltanzanlage bis zu riesigen Kochtöpfen) nicht schrecken konnten. Dank unserer Packmeister*innen, die akribisch ihre Listen kontrollierten, fand jedes Teil seinen Platz, und es konnte fast pünktlich losgehen. Die Stimmung an Bord war von Beginn an grandios, mit Gesang und Kucken feierten wir sogleich erst einmal Johannas Geburtstag. Nach der Ankunft in Aarhus bildeten wir eine lange Kette, um sofort alle Dinge auf Backstage, Bühne, Band, Technik-Regie, Schlafplätze und Küche zu verteilen. Den Gastgebern fiel sogleich die enorme Disziplin in dieser Truppe auf, und mit diesem Teamgeist ging alles nicht nur schneller, sondern machte auch allen Beteiligten richtig viel Spaß. Wir bezogen das alte und leider reichlich marode Theater von Gellerup, einem Brennpunktviertel von Aarhus. Die Coronazeit hat leider den Verfall des Theaters beschleunigt, das Wasser kam zunächst braun aus den Leitungen, es regnete durchs Dach, viele Scheinwerfer waren kaputt, die Sicherungen flogen während der ersten Vorstellung ständig raus, und als I-Tüpfelchen war noch eine unserer Schwerbehindertenbegleiterin eine Dreiviertelstunde in der Toilette eingeschlossen, weil sich das Schloss nicht mehr öffnen ließ (während alle anderen zu Soundcheck und Stellprobe auf der Bühne waren). Wir nahmen dennoch alles mit Humor und machten das Beste daraus. Und es war so oder so eine tolle Erfahrung, unser Stück, in einem großen voll besetzten Theatersaal auf die Bühne zu bringen. Sowohl die öffentliche Vorstellung am Samstag als auch die Vorstellungen für Schulklassen am Montag Morgen stießen auf große Begeisterung, manche Zuschauer*innen jubelten bei jedem Kunststück und es gab langen und herzlichen Applaus. Am Samstag Abend luden uns die Gastgeber vom Cirkus Tvaers zum gemeinsamen Abendessen, anschließend trainierten wir gemeinsam mit Kindern und Jugendlichen aus dem Quartier im nahe gelegenen neuen Circus-Gebäude. Hier trafen wir auch am Sonntag unsere Freunde, die Nafsi Africa Acrobats aus Kenia, die zeitgleich mit uns auf Tournee in Dänemark waren und eine zweistündige Anreise auf sich nahmen, um unbedingt ein paar Stunden mit uns verbringen zu können. In der Coronazeit hatte ein ganzes Netzwerk von Leuten aus unserer Circus-Gemeinschaft diese sogenannten „Social artists“ finanziell unterstützt, um ihre Arbeit in den Slums von Nairobi weiter zu ermöglichen. Nun wollten sich die Akrobaten dafür bei uns bedanken, zeigten uns einen Teil ihrer spektakulären Tanz-und Akrobatikshow und gaben uns einen Bodenakrobatik-und Pyramidenworkshop. Ein temperamentvoller afrikanischer Tanz, den sie uns beibrachten, wurde für den Rest der Tournee unser „Kick-Off“-Ritual vor jeder Vorstellung. Der Tournee-Stop in Gellerup wird allen bestimmt als Ort der multikulturellen Begegnungen in Erinnerung bleiben, der Besuch in einem riesigen orientalischen Basar ergänzte diese Erfahrungen noch.
Der Cirkus Tvaers teilte uns mit, dass wir natürlich unbedingt ganz bald wiederkommen sollen, da wir auch ihre Kinder und Jugendlichen enorm inspiriert haben, eine der Trainerinnen von dort schrieb uns: „ Thank you for your visit – I am totally impressed with your whole project.
It is great to see both the show( the result) and to see how kind and nice all the young people are to each other and the world around them.“ Was für ein schönes Feedback!
Leider mussten wir uns in Aarhus von unserer Cellistin verabschieden, die erkrankt war, Wiebke Hahn, unser Bandcoach schrieb kurzerhand die Musik etwas um, und das Akkordeon übernahm Teile der Cello-Stimme. Dafür kam in Malmö unsere frisch genesene Geigerin wieder hinzu. Auch in der Technik und bei der Schwerbehindertenbegleitung gab es noch Wechsel, doch es zeichnete unsere Truppe aus, dass sie allen mit großer Offenheit begegneten und sich alle mit großer Flexibilität an immer neue Gegenheiten anpassten.
Nach entspannter Fahrt mit herrlichen Ausblicken über Storebelt und Öresund erreichten wir in Malmö den schönsten aller Veranstaltungsorte: Barnens scen i Folkets Park, einen historischen Circus-Rundbau mit modernster Bühnentechnik, ein Traum von einem Theatersaal.
In der ausverkauften Abendvorstellung, aber auch in den beiden frühmorgenlichen eher dünn besetztenVorstellungen für Kindergartengruppen entfaltete unser Stück seinen vollen Zauber und unsere Darsteller*innnen spielten mit wahrer Hingabe. Mehrfach ertappte ich selber mich dabei, dass ich mir beim Blick aufs Bühnengeschehen die Tränen aus den Augen wischte, so berührend war das Ganze und so schön das ganze Ambiente.
Sehr schön für uns war es, dass wir gleich zwei lange Trainings mit den Schüler*innen der Cirkusskola Malmö absolvieren konnten. Diese Circus-Schule ist nicht nur technisch bestens ausgestattet und artistisch auf hohem Niveau, alle sind auch unglaublich herzlich und offen für neue Erfahrungen. So sind gleich Freundschaften entstanden, wir konnten viele neue Tricks lernen, viele schreiben sich nun regelmäßig, und ein deutsch-schwedisches Trainingscamp in unseren Hallen ist für nächstes Jahr in Planung! Es war nun schon unser dritter Besuch in Malmö, und dass wir uns dieser Circus-Schule sehr verbunden fühlen, spiegelt sich auch darin, dass fast alle in unserer Gruppe nun T-Shirts und Trainingshosen mit dem Logo der Malmö Cirkusskola tragen, während die Schweden sich nun in Lübeck 1876/Charivari-Rot kleiden:)
Etwas Freizeit in der Stadt und im angrenzenden Park blieb uns auch, und es war bewundernswert, wie gut alle Jugendlichen das extrem frühe Aufstehen ( 6 Uhr) wegsteckten. Auch das Einhalten der Nachtruhe war nie ein Konflikthema, alle hielten sich daran, und wenn Punkt 6 unser Bandcoach Wiebke das Stück „Tequila“ auf ihrer Trompete blies, hielt trotz der Tageszeit sogleich schon wieder die gute Laune Einzug.Überhaupt war die Stimmung in der Gruppe durchgehend warmherzig und fröhlich. Die langen Wartezeiten vor Duschen. Toiletten oder Buffet wurden für ausgiebiges Nackenmassieren in den Schlangen genutzt, das Zöpfe-Flechten und Schminken für intensive Gespräche, und es wurde viel gesungen.
Viel zum Wohlbefinden trug auch unser sensationelles Küchenteam bei, das uns stets aufs Beste versorgte. Und auf den Busfahrten unterhielt uns Rainer Rudloff, Co-Regisseur unseres Stückes und Mitorganisator, mit seinen sensationellen Vorlesekünsten.
Der letzte Tournee-Stop in Simrishamn hatte wiederum seinen ganz besonderen Charme. Hier werden im Herbst wirklich die Bürgersteige hochgeklappt:), weswegen unser Besuch dort eine echte Sensation war. Ab dem zweiten Tag wurde man schon im Städtchen angesprochen, ob wir die vom Circus seien, und bei der Schulvorstellung herrschte Kreischalarm wie bei einem Rockkonzert. Die Schulkinder klatschten bei den Schlussverbeugungen unsere Artist*innen ab und schworen sich, dass sie die Hände danach nicht mehr waschen wollten! Vor allem Johann, den „Pinguin“, riefen sie immer wieder auf die Bühne. Diese Begeisterung entschädigte uns dafür, dass der Auftrittsort selber, eine riesige Turnhalle, gerade im Gegensatz zum Theater in Aarhus und dem Circus-Rundbau in Malmö alles andere als schön war. Aber letzten Endes kommt es immer darauf an, was man aus jeder Gegebenheit macht, und unsere Techniker hüllten auch diese Halle in stimmungsvolles Bühnenlicht. Wir erlebten am Ende eine absolut zauberhafte Derniere, bei der uns Musiker*innen und Artist*innen mit vielen liebevoll ausgearbeiteten Extras überraschten.
Natürlich war es ein sehr emotionaler Moment, dieses Stück nach insgesamt 13 Vorstellungen abzuschließen, und es flossen reichlich Tränen. Gefeiert wurde dann aber bis zum frühen Morgen, und bei der sehr ergreifenden Feedbackrunde wurde nochmal sehr deutlich, wieviel dieses Projekt allen bedeutet hat. Auch die Kulturskola Simrishamn will uns in Lübeck besuchen, waren sie doch unendlich inspiriert von unserem Stück, und natürlich sind wir auch dort wieder herzlich willkommen. In der beschaulichen Kleinstadtidylle von Simrishamn endete unsere Tournee, doch in unseren Herzen reisen wir weiter. Mit diesen wertvollen Erfahrungen im Gepäck werden diese Jugendlichen in ihrem Leben bestimmt noch so einiges bewegen und bewirken, und auch ich habe noch vieles mit ihnen vor. „Sea you“!!!
Trix Langhans