Circus im Containerdorf- unser Flüchtlingsprojekt geht weiter

CircusMitFluechtlingskindernVolksfestplatz26Sep2015Auf dem Lübecker Volksfestplatz, schräg gegenüber von unserem Verein, wurde innerhalb von Tagen ein Containerdorf hochgezogen, in dem nun schon über 700 Flüchtlinge leben. Uns ließ der Gedanke keine Ruhe, dass dort 130 Kinder ohne jede Beschäftigung und ohne Kontakt zu deutschen Kindern eingepfercht auf engem Raum leben. Wir boten dem DRK an, mit unseren Circus-Kindern auf den Platz zu kommen, um mit den Flüchtlingskindern zu spielen und Circus zu machen. Zunächst hieß es, dass Menschen unter 18 gar keinen Zutritt auf dem Platz hätten, irgendwelche Regelungen und Sicherheitskonzepte schrieben dies vor. Es gelang uns aber schnell, die Verantwortlichen von unserer Idee der Begegnung zu überzeugen und eine Sondergenehmigung zu erwirken. Am Donnerstag erhielten wir das Okay, streuten die Information sehr kurzfristig unter den Charivaris und freuten uns riesig, als sich am Samstag morgen 12 Kinder und Jugendliche und eine Mutter einfanden, um gemeinsam mit uns Circus-Direktorinnen Neuland zu betreten.
‚Ja, Neuland war es in der Tat, und es fühlte sich an, als würden wir in ein sehr fernes, sehr abgeschottetes Land reisen. Zwar wurden wir erwartet, aber keiner vermochte uns recht zu sagen, wer nun befugt war, uns einzulassen. Nachdem wir dreimal zwischen Bundeswehr und B.O.B. Security hin und her geschickt worden waren und ein paar Helferausweise vom DRK überreicht bekommen hatten, wurden wir dann doch ziemlich unbürokratisch hinter den Zaun gewinkt.
Wir schoben unseren Fahrradanhänger neben den improvisierten Fußballplatz und waren sehr gespannt, was passieren würde. Was dann geschah, übertraf all unsere Erwartungen, und es ist schade, dass wir keine Photos machen durften, um diese Bilder der Freude festzuhalten.
Ea und Miriam schwangen das große Seil, ich machte ein paar einladende Bewegungen, und es dauerte keine Minute, da sprangen die ersten Flüchtlingskinder gemeinsam mit den Charivaris um die Wette. Hulahopreifen kreisten, Diabolos wurden ausgepackt und vorgeführt. Von allen Seiten kamen Kinder und wichen uns die nächsten eineinhalb Stunden nicht mehr von der Seite. Sie übten mit unglaublicher Ausdauer, um die Kunst des Diabolo-Spielens zu erlernen, sie hüpften und lachten und schlugen Räder, und als wir unsere Leitern auspackten, um mit ihnen damit Pyramiden zu bauen, stockte uns fast der Atem, als ein Junge unter großem „Jalla jalla“- Rufen der anderen Kinder auf die obersten Stufen stieg, die Arme nach oben streckte und stolz den Applaus der vielen Zuschauer entgegen nahm und aus dieser Höhe wieder herunter sprang. Was für ein Artist!
Es ist immer wieder faszinierend, was für einen hohen Aufforderungscharakter Circus besitzt und wie verbindend er sein kann. Überall sah man die Charivaris Hand in Hand mit den Flüchtlingskindern, es geschah wie von selbst und brauchte keinerlei Worte. Wir kommunizierten mit Händen und Füßen und Circus-Geräten. Das Strahlen aller Beteiligten war herzerwärmend. Nach und nach waren immer mehr Erwachsene hinzugekommen, die auch mitmachen wollten. Eine ganze Gruppe junger Männer aus Eritrea wollte von mir unbedingt das Diabolo-Spielen erlernen. Unser Projekt war zwar eigentlich für die Kinder gedacht, aber hier gab es eine ganze Reihe junger Erwachsener, die das Kindsein noch etwas nachholen wollten, sie hatten in ihrer Kindheit bestimmt keine Gelegenheit dazu gehabt . Zugleich gab es Kinder, die erschreckend „alte“ Augen hatten, diese Augen hatten einfach schon zuviel gesehen.
Ein 14jähriger Junge, der englisch sprach, erzählte uns von den Toten in den Straßen in seiner Stadt und davon, dass die Bomben als erstes auf die Schulen fielen. Ein Jura-Student aus Syrien fragte uns immer wieder „ What is this group?“ „Why do you do this?“ und sehr eindringlich „Please come back“.
Es war hart, dort wegzugehen, weil es so spürbar war, wie groß dort die Not und das Bedürfnis nach Beschäftigung und nach Kontakt ist. Sie ließen uns erst ziehen, als wir versprachen, ganz ganz bald wiederzukommen.
Kaum hatten wir den Zaun wieder passiert, bestürmten uns unsere Circus-Kinder „Wann gehen wir wieder dorthin?“ Als wir auseinandergingen, waren aber auch alle erschöpft und sehr nachdenklich. Die Bilder dieses Tages wirken noch in uns nach.

Der Plan ist nun, so oft, wie es nur geht, mit einer unserer Gruppen zur Trainingszeit oder auch am Wochenende mit Freiwilligen aus den verschiedenen Gruppen auf den Platz zu gehen. Ein Handwagen, den uns dankenswerterweise der Kiwanis-Club mit Circus-Requisiten füllt, ist im Bau.
Wir suchen noch Förderer und Unterstützer, die uns auch ein langfristiges Engagement dort ermöglichen. Bei unserem ersten Besuch, fehlten uns hinterher ein Diabolo und zwei Hulahopreifen… Da dachten sicherlich ein paar Kinder, dass es sich bei unseren Geräten um Spielzeugspenden handelte. Sicherlich kein böser Wille, aber dennoch für uns sehr ärgerlich, da wir es uns schlichtweg nicht leisten können, unsere Circus-Requisiten zu verlieren. Von daher freuen wir uns über Hilfe aller Art, um unseren Mitmach-Circus mit den Flüchtlingskindern fortsetzen zu können.

Wir können die Welt nicht ändern, wir können das Leid der Menschen nicht wirklich mindern, aber wenn es uns gelingt, immer mal wieder ein Strahlen in die Gesichter derer zu zaubern, die schon zuviel gesehen haben und ihnen einen Grund zu geben, einfach mal herzlich zu lachen, dann ist dies auch für uns ein ganz großes Geschenk.

Trix Langhans

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