Mit unserem Stück „ Between us“ waren wir vom 18. bis 27. Oktober auf Tournee in Dänemark und Schweden. Im Prinzip ist so eine Circus-Tournee wie ein einziges großes Sozial-Experiment: packe 38 höchst unterschiedliche Menschen für zehn Tage auf engstem Raum zusammen, halte sie 24 Stunden am Tag zusammen und lasse sie täglich eine Höchstleistung vollbringen, nämlich die Performance eines Bühnenstücks mit Live-Musik angepasst auf immer neue Umstände, Lokalitäten und Ausfälle.Um es schon einmal vorweg zu nehmen: das Experiment ist mehr als gelungen. Alle 38 Teilnehmer*innen sind beglückt und mit unendlich reichen Erfahrungen im Gepäck wieder nach Hause zurück gekehrt, und wir haben sieben äußerst umjubelte Vorstellungen gemeistert.
Müde sind wir allerdings auch, und kaum ein Tag verlief ohne Zwischenfälle.
Das Abenteuer begann schon mit dem Packen des Busses am Abfahrtstag. Niemand konnte sich vorstellen, dass diese Unmenge an Gepäck, Requisiten, Instrumenten, Küchenutensilien und Verpflegung jemals in einen einzigen Reisebus nebst Anhänger passen würde. Doch unser bewährter Tournee-Busfahrer Ingo kennt seinen Bus wie seine Westentasche, füllte jeden noch so kleinen Hohlraum und behielt die Nerven. So konnte die Reise starten, und es war beste Stimmung an Bord.
Bei Ankunft in Holbaek passierte leider der erste blöde Zwischenfall: Mona stürzte im Dunkeln über eine Zeltabspannung und schlug sich an einer Steintreppe das Knie auf. Jakob verstauchte sich am nächsten Tag beim Spiel mit den Dänen das Handgelenk, beide mussten in ihren wichtigsten Nummern ersetzt werden. Das war sehr traurig für sie. Zugleich aber war es höchst beeindruckend, wie die Gruppe damit umging. In kürzester Zeit wurden Ersatzleute eingearbeitet bzw. Nummern umgestellt. Auch bei den weiteren Vorstellungen in Malmö, bei denen sich einmal Fiona den Fußzeh prellte und Leni mitten im Stück krankheitsbedingt ausfiel, reagierte die Gruppe immer sofort und äußerst professionell, so dass das Publikum nie bemerkte, dass gerade alles anders lief als geplant. Annalena übernahm souverän Monas Part in der Strapatennummer, Lovisa bezauberte das Publikum als Amor im Luftring, Leonid sprang als Jongleur ein und Matti tauschte mit Jakob die Rollen. So entstand das Stück immer wieder neu, und die Jugendlichen meisterten alle Herausforderungen mit Bravour.
In einem echten Circus-Zelt aufzutreten war ein großes Highlight dieses Projekts. Ganz so traumhaft wie es auf den Bildern aussieht, war es dann aber doch nicht. Es war fürchterlich kalt, die Tuchartistinnen rutschten fast an den feuchten Tüchern ab, die Schuhe der Seiltänzer*innen wurden stumpf von der Feuchtigkeit, der Boden war holprig für die Einradfahrer*innen, und die Band bekam ein Übermaß an elektrischer Ladung ab… Dennoch hatten wir zwei unvergessliche Vorstellungen, und die dänischen Gastgeber*innen waren hellauf begeistert.
Beim offenen gemeinsamen Training mit den dänischen Jugendlichen stellten wir schnell fest, dass uns sogar noch mehr verbindet als „nur“ Circus. Ähnlich wie wir lieben sie witzige Bewegungs-und Reaktionsspiele, haben feste Rituale vor ihren Vorstellungen und sind begeisterte Sänger*innen. So wurde nicht nur gemeinsam trainiert, sondern auch gespielt und gesungen.
Bei herrlichstem Wetter erkundeten wir außerdem in Kleingruppen Holbaek, genossen einen Theater-Workshop von Leonid, und abends wurde getanzt und auch wieder gesungen. Die Freundschaft mit dem Cirkus Kaephöj wird bestimmt weiter wachsen, und wir freuen uns schon auf ihren Gegenbesuch.
Über die Öresund-Brücke ging unsere Reise weiter nach Malmö. Das historische Circus-Gebäude „Barnens Scen i Folkets Park“ ist wohl der romantischte Auftrittsort aller Zeiten, ein Rundbau mit Tribünen und allerfeinster Licht-und Tontechnik. Es bereitet unglaubliche Freude, in so einem Ambiente aufzutreten. In einer fulminanten Abendvorstellung und zwei Vormittagsvorstellungen verzauberten die Charivaris ihr Publikum. Vor allem der Auftritt vor 180 Kita-Kindern war einfach nur herzerwärmend. Zu unserer großen Freude besuchte uns in Malmö auch Simon, ein ehemaliger Charivari, der selber zweimal mit auf Tournee war und mittlerweile seine Ausbildung zum Artisten an der Circus-Schule von Kopenhagen macht.
Neben Freizeit im Folkets Park und in der Stadt und einem weiteren Schauspiel-Workshop von Leonid gehörten ganz klar die drei gemeinsamen Trainings an der Cirkusskola Malmö zu den Highlights dieses Tournee-Stops. Mit dieser Cirkus-Schule verbindet uns bereits eine jahrelange Freundschaft, viele der Jugendlichen kennen sich mittlerweile auch privat, und so gab es überhaupt keine Hemmungen, miteinander in Kontakt zu treten und gemeinsam zu trainieren. Natürlich wurden auch wieder neue Circus-Techniken erkundet, so waren diesmal das Schwungseil und der chinesische Mast sehr spannend für uns. Aber auch in bewährten Techniken wie der Jonglage,der Akrobatik und an den Strapaten wurden wieder Tricks ausgetauscht und Neues erprobt. Unvergessen bleibt uns gewiss auch der Transport der Weichbodenmatten von der Circus-Schule zum Circus-Rundbau und am letzten Tag wieder zurück: die Matten wurden über bzw auf den Köpfen der laut singenden Charivaris durch die Straßen Malmös getragen: ein echter Hingucker!
Von Malmö brachte uns der Bus dann nach Ystad, von wo aus wir die Fähre nach Bornholm nahmen. Das Wetter war uns gnädig, so dass keine*r seekrank wurde. Ziemlich spät am Abend erreichten wir das ehemalige Schulhaus von Sandvig und standen vor der Herausforderung, noch in der Nacht die Technik einzurichten und das Rigging (Luftaufhängungen, Schlappseil-Abspannungen) vorzunehmen, damit am nächsten Morgen die Italienische Probe stattfinden konnte ( das ist eine Stellprobe, bei der immer Nummernanfänge, Umbauten und Abgänge geprobt werden, um das Stück an die neuen Bedinungen anzupassen).
Wie schon in Holbaek und in Malmö bewährte sich hier einmal mehr, dass wir mit Lilli, Friedrich und Leonid ein äußerst kompetentes und tourneeerfahrenes Team dabei hatten, es war einfach nur großartig, wie sie jede Herausforderung meisterten und dabei immer auch noch gute Laune behielten.
Überhaupt war es bemerkenswert, wieviele Mitreisende ( Teanager wohlbemerkt!) schon morgens gut gelaunt einen Morgentanz tanzten oder fröhlich irgendwelche Dinge riefen, und das obwohl wir sie auf Tournee zweimal um 6 Uhr, einmal um 7 Uhr und einmal gar um 5 Uhr 15 wecken mussten!
Aber man muss auch sagen, dass Pelle, unser Trompeter, wirklich ein toller Wecker war, und Wiebke, unser Bandcoach, verstand es auch auf beste Art und Weise mit musikalischen Improvisationen und poetischen Anwandlungen alle behutsam in den Tag zu holen:)
Auf Bornhom wurde erstmal ein Geburtstagsständchen geschmettert, denn Freyja wurde 16. Viel Zeit zum Feiern blieb leider nicht, denn es musste ja geprobt werden. Und nachdem wir am Nachmittag wieder eine tolle Vorstellung gemeistert hatten, wollten unzählige kleine dänische Kinder mit uns Circus machen. Mit großer Begeisterung schnappten sich unsere Artist*innen die Kinder, übten Wurfsalti und Pyramiden mit ihnen, und es war ein turbulentes und fröhliches Miteinander.
Später tagte dann noch der Circus-Rat ( alle Jugendlichen ohne die Erwachsenen), denn natürlich mussten noch Überraschungen und Extras für die letzte Vorstellung ( Dernieren-Gags) geplant werden. Am nächsten Morgen hatten wir endlich die Gelegenheit die wunderschöne Umgebung zu erkunden, manche wanderten zum Leuchtturm, andere vergnügten sich am Strand und später gab es einen weiteren tollen Impro-Theater-Workshop im Circus-Saal.
Die Derniere von „Between us“ war ergreifend schön. Sehr kreativ und witzig, zugleich aber ohne den eigentlichen Charakter des Stückes und seiner Nummern zu verändern, es war eine rundum gelungene und vom Publikum sehr umjubelte Vorstellung. Natürlich flossen danach Tränen, denn allen wurde bewusst, wie kostbar diese gemeinsame Zeit und das gemeinschaftlich entwickelte Stück war. In der Abschlussrunde konnten die Jugendlichen alles noch einmal Revue passieren lassen und einander mitteilen, wieviel ihnen dieses Projekt und das Miteinander in dieser Gruppe bedeuteten. Danach wurde gefeiert bis zum Umfallen. Das Küchenteam hatte uns einmal mehr bestens verpflegt, es wurde getanzt, gesungen und gelacht, spät nachts noch am Strand herum gesprungen, und kaum jemand schlief in dieser Nacht mehr als ein oder zwei Stunden…
Dennoch gelang es uns, früh morgens um 5 Uhr 15 noch zu packen, das Haus zu putzen und pünktlich nach Rönne zu fahren. Auf der Fähre fielen einige in einen „Komaschlaf“, andere waren aber schon wieder munter, lernten eine Pfadfindergruppe kennen und sangen begeistert mit ihnen die auch bei uns so populären Fahrtenlieder. Zurück in Lübeck kam es dann noch einmal zu einem sehr bewegendem Moment. Unser Busfahrer Ingo geht in Rente, und dies war seine letzte Fahrt. Er versicherte uns, dass er in seiner ganzen 45jährigen Laufbahn keine Gruppe lieber gefahren hätte als uns und dass er unsere Gemeinschaft absolut einzigartig findet. Wir stellten uns in einen großen Kreis und sangen für ihn „ Heute hier, morgen dort“, und es gab wohl niemandem, dem nicht die Tränen kamen, als wir unserem weltbesten Busfahrer hinterher winkten…
Wir danken allen Mitreisenden, allen Helfer*innen, unserem Küchenteam, unseren Förder*innen, den Stiftungen und den Gastgeber*innen für eine unvergessliche Tournee, für das Ermöglichen von wertvollen Erfahrungen, für Erlebnisse, die wir nie vergessen werden, für Inspiration, Kreativität, Flexibilität, Geduld und ganz viel Herzblut!
Trix Langhans